Interview mit Maria-Liisa Bruckert (SQIN)

Maria-Liisa studierte Wirtschaftsingenieurwesen und zusätzlich „Regionalwissenschaften Lateinamerika“ im Bachelor an der TU Dresden und Power Engineering im Doppel-Masterstudiengang an der BTU Cottbus-Senftenberg und der NCKU in Tainan. Sie arbeitete unter anderem bei Siemens in verschiedenen Abteilungen, bevor sie ihre Leidenschaft zum Hauptberuf machte und das HealthTech Unternehmen SQIN gründete. Hier baut sie eine KI basierte Gesundheits-App und Community auf, die langfristig Gesundheit und Wohlbefinden fördert. Die KI ermöglicht erstmals die Umsetzung  von Prävention, wofür sie auch gerade als eine der “Top 20 Women in AI – Germany”  ausgezeichnet  wurde. Außerdem ist sie im Vorstand von TiE Women, einer Organisation, die weltweit anderen Gründerinnen beim Aufbau ihrer Unternehmen hilft.

Hallo Maria-Liisa, wie bist Du auf das Studium in Cottbus gekommen und wie konnten hier Deine beiden Interessen für Technik und Interkulturalität vereint werden?

Ich kenne Cottbus schon mein ganzes Leben lang. Aufgewachsen bin ich in Spremberg und dann auf das Max-Steenbeck Gymnasium in Cottbus gegangen. Damit wurden Technik und Naturwissenschaften, aber auch der Bezug zur Forschung sehr früh greifbar für mich. In meiner Werkstudententätigkeit bei Siemens durfte ich so einige Innovationsprojekte an der BTU begleiten. Da wurde mir schnell klar, was für ein familiäres und multikulturelles Miteinander auf dem Campus herrscht. Zugegeben, ein vergleichbares Angebot an Doppelstudiengängen im technischen Bereich gibt es kaum – so war die Entscheidung schnell getroffen. Innerhalb des Programms durften wir einige Zeit in Cottbus, dann aber auch in der Partner-Uni verbringen. Ich wurde nicht nur wahnsinnnig gut aufgenommen – auf beiden Seiten war man stets um die Zusammenkunft der verschiedenen Kulturen bemüht. Am liebsten erinnere ich mich an die vielen verschiedenen Dinnerabende mit Landesgerichten aus unzähligen Regionen, die ich erleben durfte.

Du bist Gründerin von SQIN, bitte erzähle uns genauer, was ihr macht und was euch wichtig ist.

Ich glaube, das spannendste ist das “warum”. Nach meinem Studium durfte ich mich bei Siemens mit dem Thema digitale Transformation aus verschiedensten Blickwinkeln beschäftigen. Das Credo: Digitale Transformation ist nur nachhaltig und durch die Synergie verschiedener Stakeholder wirklich sinnvoll. Ein Unternehmen, eine Industrie oder eine Branche zu digitalisieren kann eine massive Veränderung nach sich ziehen. Dafür müssen Ressourcen, Prozesse, aber auch Werte neu definiert werden.

Nach einiger Zeit habe ich bemerkt, dass es im Thema Gesundheit nur sehr schleppend  voran geht. Viele konservative Institutionen, viele Regularien, hoher Schutz der Menschen – das hat mich herausgefordert. Dazu kommen Demografie, Versorgungsengpässe – laut einer PWC Studie fehlen in 2030 ganze 165.000 Ärzte, allein in Deutschland. Mit SQIN setzen wir genau hier an: Die digitale Gesundheitsversorgung von morgen zu schaffen – interkulturell, präventiv und barrierefrei. Technologie kann hier der Treiber sein. Wir haben dazu eine künstliche Intelligenz geschaffen, die sowohl präventive Erkennung als auch Vorhersagen über weitere Verläufe des Gesundheitszustandes ermöglicht. So wollen wir gemeinsam mit Krankenkassen, Krankenhäusern, Ärzten, Apotheken und Patienten gemeinsam die Gesundheitswirtschaft von morgen nachhaltig, fair und effizient gestalten. 

Es ist sicherlich keine einfache Entscheidung, eine gute Anstellung bei Siemens aufzugeben, um eine eigene Gründung mit gewissen Risiken voranzutreiben. Wann stand für Dich fest, dass Du SQIN hauptberuflich machst und wie verlief da die Übergangsphase?

Ehrlicherweise bin ich auf unglaublich viel Unterstützung gestoßen. Ich war von Anfang  an transparent. In der Gründung und bei der eigenen Entwicklung lernt man so viele neue Themen und Verantwortung kennen. Diese hatten anfangs natürlich auch positiven Einfluss auf meine Arbeit bei Siemens. Nachdem ich verstanden hatte, wie wichtig unser Thema ist und dass wir mehr als zwei Milliarden Menschen helfen können, war mir allerdings klar: ich will es probieren.

Ich bin aber auch Mutter, deswegen wollte ich nicht vorschnell entscheiden und habe mir ein paar Meilensteine definiert, an denen ich meine Entscheidung festmachen wollte.

Dennoch hat mein Team, und auch nicht zuletzt mein Chef, mich immer wieder ermutigt, die Verantwortung zu übernehmen – diese Schule des Lebens würde mir immerhin auch für meine gesamte berufliche Karriere helfen.

Du engagierst Dich bei TiE Women. Hast Du spezielle Tipps für Gründerinnen in der IT-Branche?

Ich selbst hatte das Glück, sehr früh Mentoring  zu bekommen. Ohne das würde ich heute nicht an dieser Stelle stehen. Siemens hat von Anfang an viel Wert auf unternehmerisches und verantwortungsbewusstes Denken gelegt. Das möchte ich weitergeben. Ein starkes Netzwerk und – teilweise auch mal kritische – Mentoren helfen allen Gründer*innen auf ihrem Weg. Dieses Bewusstsein müssen wir stärken.

Deshalb engagiere ich mich bei TiE, aber auch in anderen Formaten wie dem “Xathon” von Henkel dx, bei dem ich erst kürzlich drei Tage lang junge Gründerinnen auf ihrem Weg begleiten durfte. Für mich ist das eine Mission, keine Verbindlichkeit.

Meine wichtigsten Tipps sind vor allem: Glaub an dich und lass dir nicht sagen, dass du Dinge nicht schaffen kannst, nur weil du eine Frau bist. Und: Such dir Unterstützung und hör auf die Erfahrungen von anderen. Man kann Fehler vermeiden, die andere bereits zuvor gemacht haben, wenn man ihre Erfahrungswerte schätzt.

Ihr habt mehrere internationale Pitches und Auszeichnungen gewonnen, unter anderem von Google, und ihr konntet bei internationalen Accelerator Programmen in Amerika, Asien und Europa teilnehmen. Hast Du Tipps, speziell für Studierende, wie sie ihre interkulturellen Kompetenzen stärken können, was sicherlich auch förderlich für geschäftliche Internationalisierungsstrategien ist?

Ein sehr spannendes Thema. Es ist wie bei Technologie: Wir müssen sie den Menschen erlebbar gestalten. Im Falle von Elektromobilität erinnere ich mich an unzählige Kampagnen, um die neue Art der Mobilität “erfahrbar” zu machen.

Bei jedem Pitch versuche ich mich zu fragen:  Wer sind meine Zuhörer? Was bewegt sie? Warum sind sie heute hier? Das beruht natürlich darauf, offen für verschiedene Kulturen zu sein, sie zu erleben und nah an den Menschen zu sein. Ich schaffe mir regelmäßig diesen Ausgleich, wobei ich hier denke, jeder muss etwas finden, was ihm liegt.

Für mich war es z.B. meine Zeit in sozialen Projekten in Brasilien: Ich konnte unglaublich viel von den Kindern lernen. Später habe ich eine Wanderung durch das Atlasgebirge in Marokko gemacht und habe erlebt, was für die Einheimischen wichtig ist und welchen Einfluss wir, die Medien und das Internet auf ihr Leben haben. Ich denke, diese bewussten “Breaks” helfen mir, reflektiert in eine Internationalisierungsstrategie zu gehen.

Es gibt aber auch viele Accelerator Programme, u.a. von der AHK oder dem German Accelerator, die einem helfen, neue Märkte zu verstehen und nachhaltig aufzubauen – und das ist wichtig. Ein Beispiel: Starbucks hat in Asien beispielsweise mit Tee den Markt erobert, nicht mit ihrem klassischen Produktportfolio.

Woran erinnerst Du Dich am liebsten aus der Studienzeit in Cottbus?

Definitiv die praktische Nähe zu den Professoren! Wir waren mittendrin in der Forschung, am Puls der Zeit. Das Verständnis für Innovation und nachhaltige Transformation wurde so enorm geschärft. Deswegen freue ich mich, innerhalb meiner Promotion auch wieder ein bisschen in den Uni-Alltag zurückzukehren.

 

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Dieses Interview wurde ursprünglich auf der Alumni-Seite der BTU Cottbus-Senftenberg veröffentlich.

Bildmaterial: Maria-Liisa Bruckert